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Grundideen der |
1.Selbstgebrauch und Funktionsfähigkeit Der Organismus des Menschen ist ein Instrument – ein Instrument zum Leben: zum Wahrnehmen und Fühlen, Verstehen, Bewegen und Handeln. Wie dieses Instrument gebraucht wird, ist entscheidend dafür, wie gut es funktioniert. Wenn ich die Möglichkeiten des Organismus falsch einschätze, setze ich eine Reaktion in Gang, die für das Funktionieren des Organismus belastend ist. Ungünstiger Selbstgebrauch kann zur Gewohnheit werden und unsere alltägliche Bewegungen und Reaktionen beeinflussen. Dann entstehen charakteristische Minderungen in der Funktionsfähigkeit des Organismus. Umgekehrt kann sich durch günstigen Selbstgebrauch das Funktionsniveau des Organismus deutlich verbessern. Näheres über die Auswirkungen ungünstigen Selbstgebrauchs unter: Indikationen und Anwendungen. 2. Selbstgebrauch und individuelles Lernen Der Mensch ist ein Lernwesen. Bei Geburt ausgestattet mit vielfältigen körperlichen und geistigen Anlagen, braucht er Zeit, um sich zu entwickeln und „in Gebrauch zu nehmen". Jedesmal wenn ein Mensch eine Fertigkeit erlernt (Laufen, Sprechen, Schreiben etc.), lernt er nicht nur die jeweilige Technik. Er lernt dabei etwas Grundlegendes über seinen eigenen Organismus: Wie funktioniert mein Organismus? Welche Möglichkeiten und Grenzen stecken in mir? Wie kann ich mit mir umgehen, meine Energien kontrollieren und einsetzen? Dabei wird der Mensch durch seine Instinkte weitaus weniger stark bestimmt als Tiere. Das hat den Vorteil, dass jeder Mensch den Horizont seiner Entwicklung durch persönliche Bemühung erweitern kann. Bis an sein Lebensende kann er sich weiterentwickeln und neue Fähigkeiten erwerben. Doch die Freiheit hat eine Kehrseite. Das hochgradig individualisierte Lernen des Menschen ist relativ leicht störbar. Es ist anfälliger für Stress und Fehlanpassung als die genetisch programmierten Verhaltens- und Bewegungsmuster der Tiere. Gleichzeitig ist der Mensch ständig dabei, seine Lebenswelt zu verändern, also immer neue Anforderungen an die Anpassungsfähgkeit der Individuen zu stellen. Ob das Individuum die vielfältigen Anpassungsleistungen erbringen kann, die seine Zivilisation ihm abnötigt, und ob er dabei seine Potential entfalten kann, ist stets ungewiss. Einen biologischen Mechanismus, der das Individuum vor dem Erlernen falschen Selbstgebrauchs schützt, gibt es jedenfalls nicht. Wie ein Mensch sich gebraucht, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: von vergangenen Lernerfahrungen, die sich in gegenwärtigen Gewohnheiten fortsetzen und so ein vertrautes Körpergefühl schaffen von den gegenwärtigen Entscheidungen angesichts der aktuellen Situation Man kann beobachten, wie der Selbstgebrauch und die Reaktionen der Menschen stark von ihren Gewohnheiten geprägt sind. Gewohnheiten sind hilfreich, wo einmal eingeübte Abläufe für die Gegenwart genutzt werden. Wenn Gewohnheiten jedoch die Freiheit unserer gegenwärtigen Entscheidung überlagern, zeigt sich die Kehrseite. Wir büßen einen Teil unserer körperlichen und geistigen Anpassungsfähigkeit ein. Es ist so, als würde der Hintergrund unserer Erfahrung (Vergangenheit) in den Vordergrund unserer Aufmerksamkeit rücken und dabei die Chancen der jetzigen Situation (Gegenwart) aus dem Blickfeld drängen. Gewohnheiten zeigen sich einerseits als körperliche Fixierungen, Steifheiten und Verspannungen; andererseits beeinträchtigen sie unsere mentale Fähigkeit, in neuartigen Situationen auf veränderte Umstände einzugehen. Wir werden in der „Routine des Alltags" wenig Möglichkeiten entdecken, selbstbestimmt zu handeln. Es entsteht eine Kluft zwischen dem, was wir „eigentlich" richtig finden, und dem, was wir praktisch zu verwirklichen imstande sind. Die Alexander-Technik dient dazu, einschränkende Gewohnheiten zu erkennen und abzubauen. Geistesgegenwart ist der Schlüssel für selbstbestimmtes, körperbewusstes Handeln. Die Alexander-Technik möchte deshalb einen schöpferischen, gegenwartsbezogenen Umgang mit sich selbst fördern. Sie möchte die neuen Körper- und Verhaltensweisen nicht auf einem bestimmten Niveau fixieren und durch häufiges Reproduzieren zum unbewussten Automatismus werden lassen. Neue Reaktionsmuster sollen mit der Zeit „geläufig", aber nicht „eingefahren" werden. 4. Wahrnehmen, Denken und Bewegen Gewohnheiten zeigen sich im äußeren Verhalten, sind aber im Denken und Fühlen verankert. Gewohnheiten gehen „in Fleisch und Blut" über. Deswegen ist es so schwierig, sie zu verändern. Ungünstige Bewegungsmuster werden ausgelöst von verzerrten, d.h. unrealistischen Wahrnehmungs- und Denkmustern, die sich zunächst rationaler Kontrolle zu entziehen scheinen. Einfache Beispiele sind falsche Vorstellungen über die relative Anordnung der Gelenke, die ökonomische Bewegungen unmöglich machen („Ich dachte, die Hüftgelenke sind weiter oben."). Manchmal drückt sich in diesen Selbstkonzepten, die einen konstruktiven Umgang mit sich selbst erschweren, allgemeine Handlungsorientierungen aus. Beispiel: „Egal, was ich tue, ich muss mich anstrengen." Die Alexander-Technik sieht Veränderung als einen Prozess, in dem die körperliche Entwicklung aus einer Neuorientierung des Bewusstseins entsteht. Innerhalb einer Reaktion kann man verschiedene Phasen unterscheiden: Wahrnehmen: sensorische Phase Ein Reiz wird wahrgenommen. Der Grad der sensorischen Sensibilität ist in einzelnen Menschen sehr unterschiedlich. Je klarer Reize wahrgenommen werden, desto leichter sind sie zu verarbeiten. Denken: mentale Phase Der Reiz wird bewertet und verarbeitet: „Was bedeutet dieser Reiz für mich?" In diesem Prozess spielen die Interpretationsmuster der Person eine große Rolle. Dann fällt eine Entscheidung darüber, was als Antwort auf den Reiz zu tun und zu lassen ist. Bewegen: motorische Phase Das Gehirn hat die motorische Botschaft geschickt und die muskuläre Reaktion ausgelöst: erst jetzt wird die Reaktion, die bereits in vollem Gange ist, als Bewegung sichtbar. Entscheidend für einen guten Selbstgebrauch ist, dass wir Muskeln und Knochen so einsetzen, dass der Körper sich als Ganzes ohne hemmende Konflikte koordinieren kann. Die Beziehung zwischen Kopf und Wirbelsäule organisiert die Rumpfbewegung und schafft für die Gliedmaßen ein zentrales Bezugssystem, das alle Vorgänge im Körper, die gleichzeitig ablaufen, zu einer Tätigkeit integriert, d.h. konflikthafte Interaktion einzelner Teile verhindert. Dabei wird die räumliche Koordination in den zeitlichen Ablauf der Reaktion eingeflochten: Wahrnehmen, Denken, Bewegen. Wir brauchen also nicht nur eine Idee davon, wohin wir einen Körperteil im Verhältnis zum Körperganzen gehen lassen können (vorne/hinten, oben/unten), sondern auch wann wir den Befehl dazu geben. Den Kopfes frei auf der Wirbelsäule zu balancieren, leitet einen integrativen Prozess ein, der dem konkreten Handeln (laufen, schreiben, den Arm heben heben etc.) vorausgeht. Die Integration stellt sicher, dass der Organismus „aktionsbereit" ist. Wenn wir diese Phase unbewusst ablaufen lassen, können sich Gewohnheiten auf die Qualität der Handlung auswirken, die mit einer Störung der Integration verbunden sind, z.B. durch Stauchung der Wirbelsäule. Wenn wir uns jedoch bewusst ausrichten, bevor wir aktiv werden, gewinnen wir eine indirekte „Qualitätskontrolle" über unsere Handlungen: wir können die Handlung ökonomischer, leichter und beweglicher gestalten. Die Beziehung zwischen Kopf und Wirbelsäule wird zu einem indirekten Kontrollmechanismus, der das harmonische Funktionieren des gesamten Organismus „von selbst" reguliert. Alexander nannte diesen Mechanismus Primärkontrolle (engl. primary control). Konflikthafte Bewegungsmuster, die die Muskeln verspannen und auf das Skelett drücken, entstehen nicht aus lokal begrenzten Diskoordinationen, sondern aus einer beeinträchtigten Integrationsleistung des ganzen Selbst. Die Alexander-Technik sieht ihre Aufgabe deswegen nicht bloß darin, ein spezifisches Symptom zu beseitigen, sondern eine konstruktive Entwicklung des ganzen Selbst einzuleiten, in deren Verlauf das symptomverursachende Tun aus dem Handlungsrepertoire verschwindet. Eine der Folgen ungünstigen Selbstgebrauchs ist eine Verschlechterung der Sinneswahrnehmung, insbesondere der Selbstwahrnehmung (Propriozeption). Wir können zwar oft merken, dass etwas mit Steuerung und Ablauf einer Handlung nicht in Ordnung ist, aber vermögen nicht zu sagen, wie wir dies verursachen. Trotzdem ist die Tendenz, eine als „falsch" eingestufte Handlung schnell zu korrigieren, und zwar so, wie es sich „richtig anfühlt", weit verbreitet. Ausgehend von der relativen Unzuverlässigkeit unserer Sinneswahrnemung, erliegen wir dabei einer Selbsttäuschung. Wir ziehen nämlich den Schluss, wenn wir schon merken, dass wir etwas „falsch" machen, können wir auch benennnen, wie es „richtig" zu machen sei. Es ist eine seltsam anmutende Tatsache, dass gerade die unbedachten Korrektur einer wirklichen Veränderung oft im Wege steht. - Wenn wir wirklich in der Lage wären, zu spüren, wie ungünstig wir mit uns umgehen – würden wir es dann tun? Die Alexander-Technik arbeitet nicht nach dem korrigierenden, sondern dem präventiven Prinzip. Angenommen, ich vermute, dass eine Reaktion „falsch" (im Sinne ungünstigen Selbstgebrauchs) ist. Der erste Schritt besteht darin, durch Beobachtung herauszufinden, was ich tue, dass der Ablauf gestört wird. Der zweite Schritt ist, zu lernen, damit aufzuhören. Anders als bei dem korrigierenden Vorgehen geht es bei der Prävention nicht darum, „das Richtige zu tun, sondern das Falsche zu lassen" (F.M. Alexander). 3. Inhibition, bewusste Idee und Anweisung Was die Entwicklung unseres Selbstgebrauchs angeht, gilt: Lernen bedeutet Verlernen. Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens zahlreiche Gewohnheiten herausgebildet, von denen manche der weiteren Entwicklung im Wege stehen. Wenn etwas Neues an die Stelle des Alten treten soll, geht es darum, als ersten präventiven Schritt, die unbedachte, „automatische" Wiederholung der Gewohnheit zu verhindern, und zwar nicht durch Unterdrückung, sondern durch Lassen. Dies bedarf einer Willensentscheidung, aber anders als gewohnt bezieht sich die Entscheidung nicht auf ein Tun, sondern ein Nicht-Tun. Alexander benutzt in diesem Zusammenhang den aus der Physiologie stammenden Begriff der „Inhibition". Das Nervensystem schickt Befehle an den Muskel (Anweisung), die ihn entweder zur Aktivität anregen (Exzitation = Anspannung) oder die Aktivität hemmen (Inhibition = Nicht-Anspannung). Interessant ist hier, dass sowohl Tun als auch Nicht-Tun vom Nervensystem gewollt werden müssen. Die Gewohnheit ist deswegen so stark, weil wir das Bewusstsein nicht mehr an dem Prozess des Reagierens beteiligen. Wenn wir beginnen, Aufmerksamkeit für das zu entwickeln, was wir tun, während wir es tun, erschließen wir uns neue Möglichkeiten des Handelns. Nach dem ich die Wiederholung des Gewohnten verhindert habe, folgt der zweite Schritt: eine klare Idee davon zu entwickeln, was ich für die gewünschte Handlung brauche. Es ist eigentlich nur gesunder Menschenverstand, sich zu überlegen, wie in einer Handlung vorzugehen ist. Die Wahl der Mittel entscheidet darüber, ob wir zum Ziel kommen. Wenn ich immer wieder erlebe, dass ich auf die gewohnte Weise nicht zum Ziel komme, ist es Zeit, innezuhalten und zu überlegen, ob ich nicht meine Vorgehensweise ändern sollte. Der dritte Schritt besteht darin, mir die neue Idee in Form einer Anweisung zu kommunizieren. Wenn ich keine Anweisung benutze, bleibt es bei der theoretisch guten Idee, die sich nicht auf mein Handeln auswirkt. Anweisungen zu geben, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Gehirns. Die Anweisungen beziehen sich nicht auf Resultate („Fühl dich leicht!"), sondern auf muskuläre Aktivitäten, die das Gehirn tatsächlich entscheiden kann, also Tun und Nicht-Tun. Daraus folgt das Handeln, das Ausführen dessen, was ich bewusst vorbereitet und eingeleitet habe. Im Handeln fließt der Strom des Wahrnehmens und Entscheidens weiter. Die Alexander-Technik entwickelt die Fähigkeit, in der Aktivität zu denken, d.h. mit allen Sinnen und Entscheidungsoptionen in der Gegenwart des Handelns zu bleiben. Die Nicht-Tun-Anweisungen spielen dabei weiterhin eine besondere Rolle, weil sie präventiv wirken, also Störungen im Bewegungsfluss fortlaufend herausfiltern. |